…ich bin (nicht) gut genug

Es ist erwiesen, dass wir unsere Vorbilder imitieren und so eine hohe emotionale Verbindung zu ihnen aufbauen, wie es sonst nur in Freundschaften der Fall ist. Der Grund dafür, dass wir Stars so bewundern, liegt an einer Täuschung des menschlichen Gehirns. „Es kann zwischen einer echten Beziehung und einer virtuellen, wie sie die Medien vermitteln, nicht unterscheiden“ sagt Gayle Stever, Psychologin am Empire State College in Rochester, New York. Psychologen nennen dies eine „parasoziale Beziehung“.

In der virtuellen Welt werden Freunde zum Publikum und wenn sie nicht liken, werden sie gelöscht. Das Aussehen spielt für manche Mädels und Jungs eine große Rolle. „Bin ich zu dick? Hab ich schöne Beine? Bin ich muskulös genug? Warum habe ich nicht noch mehr Follower?“ Und „hoffentlich bekommt mein Friseur die Frisur, die ich haben möchte, genau so hin, wie Kim Kardashian sie hat. Ich möchte aussehen wie sie!“
Jahrelang arbeitete und arbeite ich als Stylistin und könnte manchmal nur noch heulen. Ich bemerke, dass immer mehr Menschen keinen eigenen Stil mehr haben. Sondern irgendwen imitieren wollen. Sie kommen in den Salon, setzen sich auf den Stuhl und zeigen mit dem Finger auf ein Bild: „So will ich aussehen!“ Es war und ist oft der Fall, dass ich vorher weiß, dass die Frisur dem Menschen, der vor mir sitzt, einfach nicht stehen wird. Dass er damit einfach anders aussieht als sein Vorbild auf dem Foto. Oft habe ich dann versucht, davon abzuraten und die Menschen individuell zu beraten, habe mich mit ihnen unterhalten, um herauszufinden, welche Sorte Mensch sie sind. Ich konnte es nie verstehen, wenn ein Mädel vor mir saß, das wunderschön war und dann aussehen wollte wie eine Kardashian. Meistens kann man beraten, soviel man will.
Man kann den Mädels sagen „Du bist hübsch, hab deinen eigenen Stil und bau ihn aus.“ Das wollen Viele aber gar nicht hören. Wenn sie sich erst einmal in den Kopf gesetzt haben, wie irgendwer auszusehen, dann muss das so sein. Und wehe sie sehen danach nicht exakt gleich aus. „Blöde Frisöse, die Haarfarbe ist aber nicht genau gleich wie auf dem Foto!“ Das hat mich in meinem Beruf als Hair Stylistin immer mehr und mehr deprimiert. Ich konnte und kann es einfach nicht verstehen, dass man nicht zu sich selbst stehen will.
Noch Schlimmeres habe ich dann an Sets von Hair- & Make-up Jobs erlebt. Es waren die schönsten Mädchen dabei. Ich kam jedesmal rein und dachte „Wow, ist die hübsch!“ Als der Tag dann vergangen war, merkte ich, wie wenig Selbstbewusstsein jede Einzelne von ihnen hatte. Als wir bei einem Shooting Essen bestellten, trennte eines der Mädchen sogar das Öl des Salatdressings vom Essig und schüttete es weg: „Das ist zu viel Fett“. Da schießen mir einfach nur die Tränen in die Augen. Es tut mir einfach nur leid, wie verfälscht das Bild der Schönheit ist; und dass Viele einfach gar nicht mehr wissen, was es wirklich bedeutet, schön zu sein.

Die Mädels sollten sich nicht hinter ihrem Styling verstecken. Das heißt nicht, dass man sich gar nicht mehr schminken soll. Aber es ist wichtig, dass man sich mit Frisur und Make-up wohlfühlt; dass es zu dir passt, zu dem Menschen, der Du bist und nicht zu dem Menschen, der Du sein willst. Toll, dass es Wege gibt, Gesichter durch Contouring auszugleichen. Noch besser, wenn man die Formen, die andere bestimmt als wunderschön empfinden, nicht versucht mit Beauty Produkten zu verstecken, nur weil irgendjemand mal gesagt hat, dass das wohl besser wäre.
Ich selbst benutze am liebsten kein Make-up. Klar, im Winter sehe ich auch mal schnell blass aus und habe Augenringe bis zum Boden. Concealer, Wimperntusche und ein wenig Rouge, fertig ist der Lack. Natürlich so wenig wie nötig, damit man mich noch so sehen kann, wie ich bin.

Jeder sollte sich mit seinem Styling wohlfühlen. So strahlt man auch die Zufriedenheit aus, die einen schön wirken lässt. Nur weil der weißblond gefärbte Long Bob deiner Fashion-orientierten Freundin hammermäßig gut steht, heißt es nicht, dass das auch bei Dir der Fall ist. Eventuell bist Du eine natürliche junge Frau, die sich mit sanften Highlights und langen Haaren viel wohler fühlt. Also dann trag das auch! Erst wenn du dich mit dir, deinem Hair and Make-up und in deinem Körper wohl fühlst, denken andere genauso über dich. Und dann bist du das Vorbild.
Als ich 20 war, dachte ich auch, meine Haare abschneiden zu müssen. Mein persönliches Vorbild dafür war die Sängerin „Robyn“. Das Problem dabei war, dass ich danach einfach nicht aussah wie sie; dass ich mich mit den kurzen Haaren einfach nicht wohl fühlte und dieses Unwohlsein auch ausstrahlte. Ich liebe kurze Haare an Frauen und natürlich auch den aktuellen Trend, alle Haare abzurasieren. Bestimmt denke ich einmal im Monat daran, einfach die Maschine in die Hand zu nehmen und drauf los zu schneiden. Erst kürzlich habe ich mir selbst einen Pony geschnitten. Ich fand tausende Bilder auf Pinterest, die mir sehr gefielen. Auch hier musste ich erneut feststellen, dass das Gefühl des Wohlbefindens nur einen ganzen Monat anhielt und ich eben doch nicht die Frau war, die den Pony hatte, den ich auch wollte. Nun fühle ich mich mit dem Pony nicht mehr wohl und lasse ihn wieder wachsen.
Seit meinem 15. Lebensjahr habe ich bestimmt hundert verschiedene Haarfarben und Schnitte ausprobiert und bin heute mit 30 soweit, sagen zu können, mit welchen Frisuren ich mich wohl fühle und mit welchem Make-up ich ich selbst sein kann. Ich behaupte nicht, dass ich nun nie wieder etwas ausprobieren werde, jedoch weiß ich, welche Grenze ich lieber nicht überschreite, um mich noch wohl zu fühlen. Deswegen an Euch, meine Lieben: Wenn ihr euren nächsten Termin beim Stylisten habt, seid Euch bewusst, wer ihr seid und welches Styling euch gut fühlen lässt. Bleibt Euch treu! Der Stylist kann euch beraten. Er kann einschätzen, was zu euch passt. Natürlich sollt ihr Euch damit auch wohlfühlen.
Am meisten Spaß hatte ich immer, wenn ich die innere Schönheit eines Menschen mit einem individuellen Hair & Make-up hervorheben konnte. Als Friseur muss man einen Menschen kennenlernen, um ihm den typgerechten Haarschnitt oder das perfekte Make-up zu verpassen. Man muss sich mit dem Menschen unterhalten. Deswegen nahm ich mir immer sehr viel Zeit für eine intensive Beratung; besonders bei Kunden, die das erste Mal bei mir waren. Die schönsten Ergebnisse gab es immer, wenn die Menschen mich nach einem Gespräch einfach machen ließen. Da gehört sicherlich viel Vertrauen dazu, jedoch waren die Kunden so immer am glücklichsten und konnten sich mit ihrer neuen Frisur identifizieren. Trotzdem gab es dann noch die Kunden, die trotz allem aussehen wollten wie die Person auf dem Foto. Genau diese brachten mich immer wieder zur Verzweiflung. Wenn eine Strähne anders lag als im Magazin, waren sie total enttäuscht. Dass die Haarstruktur und die Gesichtsform eine andere ist und das Aussehen vielleicht nicht zu ihrem Charakter passt, sollte man ihnen lieber nicht erklären. Denn sie kamen nicht, um sich selbst zu akzeptieren. Vielleicht waren sie dafür einfach nicht bereit!?

„Menschen sind von Natur aus Imitatoren.“, so Bernie Krause, Naturforscher. Zuerst imitieren wir unsere Mutter, den Vater und dann suchen wir uns andere Vorbilder, die vielleicht Stars oder Blogger sind. Und da wo einen offensichtlich am meisten soziale Bestätigung erwartet, entwickelt man sich hin, obwohl man das insgeheim alles überhaupt nicht mag und eigentlich lieber ein viel mitfühlenderer Mensch wäre, der sich um andere kümmert und dafür Anerkennung bekommt. Und warum das alles? Weil wir alle doch eigentlich nur geliebt werden wollen. Aufgrund weniger Likes fühlen sich viele eben nicht geliebt. Sie fühlen sich schlecht, weil sie denken, andere seien besser als sie selbst; und Zahlen lassen das irgendwie noch realer wirken. Dabei basiert das alles doch nur auf programmierten Algorithmen. Außerdem stellt sowieso jeder nur das zur Schau, was er zeigen will; und das entspricht zum Großteil so gar nicht der Realität. Wer glaubt denn, dass die Kardashian nach dem Aufstehen direkt so aussieht, wie auf den Bildern ihrer Instagram Story? Das kann doch nicht sein, dass sie morgens schon gestylet aufwacht und niemals einen schlechten Tag hat, oder etwa doch? Ich glaube kaum. Ich glaube auch nicht, dass man sich mit irgendwelchen Bloggern vergleichen sollte, die tausende Likes und Follower haben.
Die jungen Generationen messen sich mittlerweile daran und bauen ihr Selbstbild darauf auf. Es ist ein wahres Wetteifern geworden in der Social-Media Cloud. Apropos Cloud: genau da leben wir mittlerweile, auf einer Wolke in einer Fantasiewelt, die wir auf irgendwelche Server hochladen und sie damit irgendwo ins Weltall schicken, um sie danach anderen als Realität zu verkaufen.
Dabei sind die sozialen Medien an sich nichts Schlechtes, sie werden nur viel zu oft zweckentfremdet. Sie sollten das vermitteln, wofür sie eigentlich gedacht sind. Sie sollten das soziale Miteinander ermöglichen und Menschen durch soziale Kontakte zusammenbringen. Sie sollten uns und unseren Zusammenhalt stärken und nicht schwächen, schließlich heißen sie doch nicht assoziale Medien!?
Also warum können wir sie nicht auch so verwenden?
Was wäre denn schlimm daran, wenn man auf Instagram oder Facebook nicht weiß, wieviele Follower man hat oder wieviele Likes? Würde man dann trotzdem jeden Tag etwas posten? Warum geben Medien wie Instagram oder Facebook denn überhaupt die Followerzahl für andere Preis? Wäre es nicht genug, wenn man selbst weiß, wie viele Follower man hat? Das würde doch vieles leichter machen. Und wann sind wir überhaupt von Freunden zu Followern, also zu Anhängern und Gefolgsleuten mutiert? Wann hat sich das reale Zusammensein in diese einsame Egomanie verwandelt, in der man sich selbst in den Mittelpunkt der Welt stellt und manche Menschen mit Daumen und Herzen bewertet, während man die anderen einfach links liegen lässt, oder sie sogar ausgrenzt und verachtet? Die Schere zwischen arm und reich wird immer größer und das nun sogar im sozialen Sinne. Reiche, hübsche und beliebte Menschen scheinen nicht nur zunehmend mehr Geld anzuhäufen. Sie werden nun auch noch mit messbarer sozialer Zuneigung belohnt, während arme, nicht der Norm entsprechende Menschen nahezu alleine dastehen und nicht nur finanziell, sondern auch sozial auf dem Abstellgleis geparkt werden. Das kann ganz schön Angst einflößen und einsam machen. Und warum? Weil wir gierig sind. Weil wir unersättlich sind. Weil wir immer noch mehr haben wollen, so wie wir das bei unseren noch gierigeren Vorbilder sehen. Wo steckt da der Sinn? Wo ist das Gleichgewicht? Warum ist es überhaupt so wichtig, schön und erfolgreich zu sein? Und wie kann man da überhaupt noch glücklich sein, wenn man sich nur über Besitz und Status definiert und ständig nur versucht, noch mehr zu haben und noch beliebter zu sein?

Selbst Buddha sagte einmal, dass alles Ringen um Reichtum und Besitz ein klägliches, weil von Grund auf nutzloses Unterfangen ist.
Es wird immer jemanden geben, der noch erfolgreicher und beliebter ist als Du. Solange wir daran festhalten, wird es niemals genug sein. Vielleicht sollten wir gerade deshalb einfach endlich lernen, zu uns selbst zu stehen und auf unsere Mitmenschen zu achten. Es ist an der Zeit, uns damit zufrieden zu geben, was wir NICHT haben und wer wir NICHT sind.

Leave a Reply