Kann man Schönheit sehen ?

Im Interview mit Hasan Soul, 29, von Geburt an blind.

Er ist sehr sensibel, einfühlungsstark und blind. Seine Sehkraft beträgt unter 1%. Er erkennt Umrisse und starke Farben. Hasan arbeitet im Reha Zentrum in Stuttgart als Masseur und dies tut er mit Leidenschaft. Dort hat er auch seine Freundin kennen gelernt, die er wunderschön findet. Heute wird er uns erzählen, was Schönheit für ihn bedeutet und wie er die Gesellschaft wahrnimmt. Inklusion ist heutzutage ein großes Thema, deswegen spreche ich heute mit Hasan über seine Erfahrungen.

WAS BEDEUTET SCHÖNHEIT FÜR DICH?
Für mich beginnt Schönheit an der Stimme. Das erste, was ich von einem Menschen mitbekomme, ist erst einmal die Stimme. Ich mache mir ein Bild davon – wie könnte er oder sie denn aussehen: groß, klein, dick oder dünn. Es gibt auch noch andere Sachen, wie ich jemanden wahrnehme, wie zum Beispiel über Berührungen. Zum Beispiel wenn ich mich beim Gehen bei jemandem einhake, fühle ich die Haut oder verschiedene Stoffe. Das ist sehr interessant für mich. Wenn ich beispielsweise ein T-Shirt kaufe, ist es wichtiger, wie es sich für mich auf der Haut anfühlt. Das definiere ich dann als schön. Für mich ist Schönheit zum Beispiel auch einfach Entspannung. Es muss nicht unbedingt immer nur das Aussehen sein. Es kann auch ein guter Duft, das Fühlen, Musik oder auch die Wellen am Strand sein.

WIE NIMMST DU DEINE UMWELT WAHR?
Das meiste geht natürlich über das Gehör. Es ist ja nicht so, dass ich an sich besser höre als viele andere, sondern ich setze meinen Hörsinn einfach nur besser ein. Wenn ein Geräusch passiert, dann denke ich: „Oh, was war das, wo kam das jetzt her?“ Und ganz wenig kann ich ja noch erkennen: zum Beispiel Umrisse und ein paar kräftige Farben. Und natürlich nehme ich meine Umwelt stark durchs Tasten wahr.

WELCHE SIND DIE SCHÖNSTEN FARBEN FÜR DICH?
Meine absolute Lieblingsfarbe ist rot – rot hat für mich, weil ich es ja noch erkennen kann, so etwas warmes, helles und auch etwas total beruhigendes und das strahlt für mich Entspannung aus. Außerdem mag ich blau sehr gern, weil blau für mich das Wasser symbolisiert, gerade zum Beispiel das Meer.

WAS TASTEST DU GERNE?
Ich massiere gerne – kommt natürlich auch drauf an, wen und wie und wo. Die Oberfläche, die man berührt, macht viel aus. Wenn irgendwas sehr glatt ist, fühlt es sich immer sehr schön an. Ansonsten ertaste ich gerne ganz verschiedene Sachen und meine Freundin natürlich. (lacht)

WIE HAST DU DEINE FREUNDIN KENNENGELERNT?
Meine Freundin und ich waren auf derselben Schule am Kräherwald bei der Nikolauspflege und haben uns da eigentlich kaum unterhalten. Danach haben wir uns acht Jahre aus den Augen verloren. Ich hab mein Ding gemacht und sie hat ihr Zeug gemacht. Und dann hat sie irgendwann in dem Reha Zentrum, in dem ich arbeite, ein Praktikum als Masseurin gemacht. Um dieses Praktikum zu bekommen, hat sie von einer Freundin meine Nummer erfahren, woraufhin wir immer mehr telefoniert haben. Dadurch sind wir dann ins Gespräch gekommen und dann hat irgendwann das eine zum anderen geführt, aber es hat ewig gedauert bis wir zusammen gekommen sind.

WARUM HAST DU DICH IN SIE VERLIEBT?
Ihre Art, ihre Stimme macht viel für mich aus. Mir hat es sehr gefallen, dass meine Freundin sehr temperamentvoll ist, aber wenns drauf ankommt, auch einfach mit mir entspannen kann.

WAS BEDEUTET ES FÜR DICH, SCHÖNE DINGE ZU UNTERNEHMEN?
Ich bin sehr fussballinteressiert, gehe gerne ins Stadion, schaue auch im Fernsehen viel Fussball. Mit Freunden treffe ich mich gerne und reise in Städte. Jetzt wirst Du wahrscheinlich denken, wie mach ich das? Also ich hab ein paar Freunde, die auch schlechter sehen. Mit denen fahren wir dann meistens in verschiedene Städte und planen alles sehr genau im voraus. Zwei davon sehen auch echt gut. Dann schauen wir uns die Sehenswürdigkeiten an, wir gehen in Kirchen oder wenn es Modelle von den Gebäuden gibt, fassen wir die auch mal an, damit wir uns ein Bild davon machen können. Bootsfahrten finde ich ganz toll und auch die Aura an den verschiedenen Orten wahrzunehmen. Jede Stadt hat doch ein eigenes Feeling. Ich spüre das dann auch, dass die Menschen je nach Ort ganz anders sind. Und die Geräusche bei Städtereisen empfinde ich als schön, zum Beispiel das Plätschern eines Brunnens.

WAS IST FÜR DICH EIN SCHÖNES GERÄUSCH?
Ich mag Wasserplätschern sehr gerne und wie die Wellen sich am Strand brechen. Das klingt jetzt echt lachhaft, aber ich fahre sehr gerne Zug und wenn so ein Zug vorbeisaust, dann mag ich das Geräusch; natürlich, ganz klar Stimmen und Musik. Die muss ich immer laufen haben, wenn ich irgendwas mache. Aber es gibt auch Geräusche die ich nicht mag – zum Beispiel quietschende Geräusche, wenn alte Türen zugehen, oder das Geräusch von Flip Flops – also so nervig, die sind auch so unbequem. Oder klar – Bohrmaschinen; das Geräusch von Sonnencreme auf der Haut.

WIE SCHÄTZT DU MENSCHEN EIN?
Es fällt etwas Großes weg bei mir, nämlich der Blickkontakt. Ich versuch schon immer, wenn ich mit dir spreche mich zu dir zu drehen. Aber es gelingt mir nicht immer. Als du mir zum Beispiel eine Sprachnachricht geschickt hast, hab ich mir erstmal innerlich ein Bild gemacht. – Wie schaut diejenige jetzt aus? Und dann macht es natürlich auch was aus, wie und was man sagt. Wie wird man angesprochen.Wenn jemand gleich unfreundlich erscheint, dann hat man es schon ein bisschen schwerer. Wenn ich meine Freundin manchmal morgens anrufe, weiß ich auch gleich, heute ist sie wieder schlecht drauf und dann weiß ich auch – heute lieber ein bisschen die Klappe halten. (lacht) Und wenn ich jemanden nicht kenne, fällt es mir schwer rauszufinden, ob jemand genervt ist. Da können so viele Menschen die Stimme verstellen. Was für mich auch immer wichtig ist, sind Düfte. Parfums mag ich ganz gerne, da weiß ich gleich dass der Mensch geplegt sein könnte.

WAS BEDEUTET FÜR DICH OBERFLÄCHLICHKEIT?
Ich habe eine gute Freundin, die jetzt 19 ist und sich voll auf Instagram und Facebook fixiert. Ich selbst habe nur Facebook und kein Instagram. Und dann hör ich oft, „boah das Bild von dem geht ja gar nicht, der sieht ja so scheisse aus und der hat so ne Fresse“, wo ich mir dann denke: „Mensch! Du kennst den Menschen doch gar nicht und stempelst ihn gleich so ab.“ Ich find das immer furchtbar, muss ich ehrlich sagen. Für mich ist Oberflächlichkeit auch einfach, wenn jemand auf die Kleider, die er trägt, reduziert wird oder die Haarfarbe, die er hat. Also auch als die Freundin von mir noch Single war, gesagt hat: „Mit dem gehe ich jetzt auf keinen Fall weg“, hab ich gesagt: „Du kennst ihn doch nicht. Du siehst sein Foto und das soll´s jetzt gewesen sein?“ Sowas find ich dann immer schlimm. Was ich auch gar nicht verstehe, ist, wenn sich Leute in total unbequeme Sachen reinzwängen, nur um gut auszusehen; gerade bei Frauen ein enges Kleid oder enorm hohe High Heels. Da denk ich mir: A) ist es für den Rücken und für die Füße total scheisse und B) man macht es doch nur letztendlich, weil man anderen damit imponieren will?! Ich denk mir dann immer, wenn jemand mich so nicht akzeptiert, dann soll ers doch lassen. Wenn Leute abgetan oder in Schubladen gesteckt werden, finde ich das ganz schlimm. Es gab mal im Radio ein Gewinnspiel, mit der Frage: „was ist das größte Makel an dir?“ Dann haben Mädels angerufen, die etwas an der Nase oder am Körper haben – aber ich finde, das ist gerade etwas, das Menschen ausmacht!

WIE FÜHLST DU DICH IN DER HEUTIGEN GESELLSCHAFT?
Ich hab das Gefühl, diese Oberflächlichkeit wird immer schlimmer. Mit diesen ganzen sozialen Medien wie Instagram, Facebook und Twitter und so. Ich mein es war ja schon immer so, dass die Menschen nach dem Aussehen gegangen sind, aber ich hab das Gefühl es wird immer schlimmer. Also ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass man mit Sehbehinderung anders wahrgenommen wird von den Menschen. Es gibt Menschen, die machen sich die Mühe, einen kennenzulernen und dann gibt es andere, die können sich das dann eher nicht so vorstellen. Es sind ja auch irgendwie die Medien in denen immer wieder 90/60/90- Mädels gezeigt werden und das ist ja eigentlich nicht die Realität.

WAS MACHT EINEN STARKEN CHARAKTER FÜR DICH AUS?
Für mich macht einen starken Charakter aus, wenn einem scheiß egal ist, was andere davon denken, wie man aussieht. Ich kann das auch nicht immer, muss ich leider gestehen. Ein starker Charakter ist für mich, wenn jemand denkt, ich hab vielleicht ´ne krumme Nase, aber es ist mir völlig egal. Wenn eine Frau sagt, ich zieh keine High Heels an, weil das unbequem ist, dann finde ich das auch sehr stark. Außerdem ist mir Geradlinigkeit sehr wichtig, also dass jemand zu seinem Wort steht und morgen noch macht, was er heute gesagt hat.

WAS IST DAS SCHÖNSTE, WAS JEMALS FÜR DICH GETAN WURDE?
Es gibt nette Leute wie meine Arbeitskollegin. Sie hat mit mir den Arbeitsvertrag durchgelesen und Sachen mit mir ausgefüllt. Als ich krank war, hat sie mir auf der Arbeit gleich Hustensaft geholt. Ich bin dankbar, wenn mich jemand irgendwo hin führt. Mein Bruder ist zum Beispiel auch schon mal mit mir im Stadion in München gewesen. Das find ich immer super, wenn sich jemand dann solche Umstände für mich macht.

WAS MACHT DICH GLÜCKLICH?
Wenn meine Freundin glücklich ist, bin ich automatisch auch glücklich. Und mir gibt Fußball auch sehr viel, wenn die Mannschaft gewinnt oder wenn ich im Stadion bin. Ich bin an sich leicht zufriedenzustellen. Ich muss nicht viel haben. Mir reicht es eigentlich, wenn ich Zeit mit meiner Freundin oder meinen Freunden verbringen kann. Das tut mir dann schon sehr gut. Ich reise auch sehr gerne. Meine Familie stammt aus Griechenland und deswegen ist Griechenland auch eines meiner Lieblingsländer und Österreich mag ich auch ganz gerne. Ich werd jetzt auch im Oktober nach Wien fahren.

WAS HÄLTST DU VON INSTAGRAM UND FACEBOOK?
Ich habe damals mit Facebook angefangen, um mit Leuten den Kontakt zu halten. Ich habe sehr viele Cousinen und Cousins ins Griechenland, mit denen ich so in Kontakt bleiben kann. Ich finde, es ist was gutes, weil es Menschen verbindet und sie ihre Gedanken austauschen können. Leider kann es sie aber auch sehr negativ beeinflussen. Das Internet kann viel Gutes ermöglichen und sehr viel Schlechtes. Wenn jemand beispielsweise deinen Ruf schädigen will, dann geht das über das Internet sehr schnell. Das ist ein Problem, finde ich.

WAS WOLLTEST DU SCHON IMMER MAL LOSWERDEN?
Ich find es wichtig, sich ein eigenes Bild zu machen. Man sollte jemanden auch wegen einer Sehbehinderung nicht in eine Schublade stecken, sondern sich wirklich ein eigenes Bild machen, den Menschen persönlich kennenlernen und sich erst dann eine Meinung über ihn bilden. Offenheit ist dabei sehr wichtig. Ich kann Berührungsängste nicht so ganz nachvollziehen, was vielleicht auch an meiner Ausbildung liegt und weil es so wichtig für mich ist, Dinge so zu erfassen.
Man sollte einfach offen aufeinander zu gehen und sich einen eigenen Eindruck voneinander machen.

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Bilder: www.unsplash.com

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